Die wahre Liebe kennt keine Grenzen

Der große Umweltroman von der DDR Zeit

Der Ökosozialist

 

 

 

 

 

In seinem Werk findet man

groteske Natur­be­schreibungen,

aber auch Berichte über natürliche

und gemütliche Lebensformen

der alten Türkei und in der DDR,

die heute nicht mehr existieren.

Erol verliebt sich dort in die Ostberlinerin Angela. Um sie nach Westberlin zu schmuggeln, macht er einen gefährlichen Versuch, obwohl sie hoch­schwanger ist. Er wird am Checkpoint Charlie angeschossen, aber ihr gelingt es in den Westen zu fliehen. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis hat er diese Romane von fünf Bänden geschrieben.

Am 9. November 1989 fiel die Mauer,Erol wird frei.  Der Ökosozialist Erol erzählt wie seine hoffnungslose Liebe weiter geht. Er träumt immer noch von einem System, das sich nach dem Gleichgewicht der Natur richtet und die anderen Lebewesen achtet.

Abschnitt 165-166 Seite 29-37

Das Gericht

 

165 In dem ich in dieser verdammten kalten Zelle meine Schmerzen niederschrieb, durchlebte ich meine Kindheitsjahre erneut. Als ich mir meine Kinderhändchen an der Brust meiner Mutter aufwärmte, klapperte das Schloss der Eisentür.

Sie wurde weit geöffnet.

Stiefel quietschten.

Zahlreiche Polizisten traten ein.

Mein kaltes Zimmer wurde noch um einiges kälter. Meine Seele litt Schmerzen!

Handschellen wurden mir angelegt.

Die Gänge des Gefängnisses füllten sich mit Geräuschen.

Papierrollen wurden an Maschinen angebracht.

Schwarze Schreibmaschinen klapperten.

Fragen wurden gestellt, Aussagen protokolliert.

Sie hielten mich für ein Mitglied einer verbrecherischen Bande, die Menschen über die Grenze schmuggelt. Um Informationen über diese vermeintliche Bande zu bekommen, scheuten sie keine Mittel, physisch und psychisch. Doch sie bekamen immer dieselbe Antwort von mir:

„Ich wollte nichts anderes tun, als meine Frau und mein Kind nach Westberlin zu bringen.“

„Weshalb haben Sie denn mit einem Maschinengewehr auf Grenzsoldaten geschossen?“

„Man hat von jenem Turm aus auf mich geschossen, aus Notwehr und um sie einzu­schüchtern, habe ich zurück geschossen.“ so lautete meine Antwort.

Ich wurde wieder in meine kalte Zelle gesperrt.

Eines Tages wurde die Eisentür erneut geöffnet und ich wurde von bewaffneten Soldaten in die vordere Sitzreihe des Gerichtssaals gebracht.

Das Gericht füllte sich, die Richter in ihren Roben stellten sich vor mich hin, meine Personalien wurden kontrolliert und mit Fragen bombardiert. Der Staatsanwalt las die Anklage vor, seiner Meinung nach war ich ein schrecklicherVerbrecher.

Mein Nacken versteifte sich ständig wegen dem zu den Richtern nach oben schauen.

Ich möchte nur vereinfacht und gekürzt wiedergeben, was mir damals in geschwollener Sprache und Fachausdrücken vorgeworfen wurde.

Schlussendlich sprach die Oberrichterin:

„Herr Atila, stimmt es, was in der Anklage des Herrn Staatsanwalts steht?“

Mein Gott, diese Stimme, dieses Gesicht – war es nicht das von Ursula, die noch vor einem Jahr in meinen Armen geweint hatte? Doch ich durfte es mir nicht anmerken lassen. Ich erstarrte. Oberrichterin Ursula wiederholte ihre Frage, mit ängstlicher und beinahe flehend zitternder Stimme:

„Herr Atila, antworten Sie, stimmt es, was in der Anklage des Herrn Staatsanwalts steht?“

Als ich meinen Schock überwunden hatte, antwortete ich:

„Teilweise.“

Die Oberrichterin war sichtlich erleichtert, sie hatte sich wohl gedacht, dass ich sie mit Ursula ansprechen würde. Die Anklagepunkte wurden vorgetragen.

„Herr Atila, Sie werden angeklagt, einer verbrecherischen Bande anzugehören, die Menschen über die Grenze schmuggelt. Gestehen Sie dieses Verbrechen?“

„Nein, Euer Ehren. Ich gehöre keiner solchen Bande an und ich kenne auch niemanden der so etwas unternimmt. Ich wollte nur mein Kind und meine Frau über die Grenze bringen.“

Die Schreibmaschinen klapperten, Aussagen wurden festgehalten.

Die Oberrichterin fuhr fort

„Herr Atila, Sie werden angeklagt, eine DDR-Bürgerin und ihr Kind über die Grenze Friedrichstraße geschmuggelt zu haben. Gestehen Sie dieses schwere Verbrechen?“

„Wenn Sie gestehen, dass sie mit der Errichtung der Mauer Menschenrechte mit Füssen getreten haben, dann gestehe ich, dass ich meine Frau und mein Kind über das von Ihnen geteilte Land geschmuggelt habe.“

Die Richter und Anwälte begannen zu murmeln. Die Schreibmaschinen klapperten und klapperten. Ich hatte die sittliche Persönlichkeit der DDR verletzt und mich somit erneut schuldig gemacht. Ich hatte die Worte des Polizisten Werner nicht ernst genommen. Ich würde auch den Ratschlag von Doktor Antje, mich als Genosse aus­zugeben, nicht mehr trauen zu sagen.

Die Oberrichterin sprach wieder von oben herab:

„Herr Atila, Sie werden beschuldigt, DDR-Soldaten an der Grenze mit einem Maschinen­gewehr töten zu wollen. Gestehen Sie dieses Verbrechen?“

„Nein, Euer Ehren. Wenn ich dies beabsichtigt hätte, hätte ich dutzende Soldaten umbringen können. Fragen Sie jene Soldaten, ob ich sie töten wollte! Der Soldat im Turm hätte mich erschießen können, wenn er wollte. Doch er hat es vorgezogen, auf meine Beine zu schießen. Dafür bin ich ihm dankbar. Deshalb habe ich auch, nur um ihn einzu­schüchtern, in seine Richtung geschossen. Mein Moralkodex erwies sich als stärker, da es in ihm keinen Platz für Mord gibt.“

„Aber dieser Soldat ist immer noch im Krankenhaus und muss medizinisch behandelt werden,“ wendete die Oberrichterin ein.

„Ich möchte mich bei ihm entschuldigen, ich habe nicht beabsichtigt, ihn zu verletzen. Ich wollte ihn nur einschüchtern. Doch ich war unter Schock, es war ein Unfall, es tut mir wirklich leid. Genossen! Ich bin ein Student, der gegen den Kapitalismus ist. Ich habe die Untaten der Kapitalisten gesehen, bin vom Westen geflüchtet. Wenn Sie wüssten, mit welchen Hoffnungen ich in die DDR gekommen bin! Verflucht sei der Kapitalismus!“

Der Staatsanwalt unterbrach mich, ohne dass ihm das Wort erteilt wurde und fragte im ironischen Ton:

„Ach, Sie sagen, dass Sie ein Genosse sind und deswegen haben Sie also eine DDR-Bürgerin in den Westen geschmuggelt?“

Sofort antwortete ich:

„Ich wollte das nicht, meine Frau hat darauf bestanden.“

„Lügen Sie uns nicht an,“ grummelte der Staatsanwalt, „diese Frau ist nicht ihre Ehefrau, Sie sind nicht offiziell verheiratet.“

Die Oberrichterin unterbrach den Staatsanwalt, der unerlaubt das Wort an sich gerissen hatte. Sie schaute ihn verachtend an. Er erkannte seinen Fehler und hielt sich zurück.

Sie wendete sich an mich, und sagte:

„Herr Atila, sprechen Sie bitte weiter.“

„Sehr geehrte Frau Oberrichterin, ich bin ein links­orientierter Student, der gegen den Kapitalismus ist. Der Schrecken des Kapitalismus ließ mich hierher flüchten, wo ich mir Besseres erhoffte. Halten Sie mich bitte nicht für einen mutmaßlichen Verbrecher. Bitte beschuldigen Sie mich nicht als einen Agenten einer Bande. Ich bin ein Student, gleichzeitig ein Sportler, ein unbesiegbarer, professioneller Boxer. Lassen Sie mich DDR-Bürger werden, ich werde stolz in DDR-Trikots gegen westliche Boxer antreten, sie zu Boden werfen. Ich bin ein Sozialist wie Sie.“

Es war offensichtlich, dass Oberrichterin Ursula mir helfen wollte:

„Was meinen Sie mit; ich bin Sozialist wie Sie?“

„Ja Frau Oberrichterin, ich bin wie Sie ein Sozialist, aber ein Ökosozialist.“

Ursula hatte mir damals, als wir im Bett lagen und ich ihr lang und breit meine ökosozialistische Philosophie erklärt hatte, Recht gegeben. Sie wusste ganz genau wovon ich sprach, doch sie wollte, dass die Jury auch beeindruckt wird. Deshalb fragte sie:

„Was ist denn das, Ökosozialismus?“

Ich war ihr so dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit gegeben hatte.

„Vielen Dank, Euer Ehren, dass Sie mir erlauben, meine Ansichten darzulegen. Der Ökosozialismus ist eine neue Form des Sozialismus, der sein Grundgesetz auf Ökologie aufbaut, sich an einer natürlichen Lebensweise orientiert, die jedem Lebe­wesen Rechte zugesteht, für die Menschen Glaubens­freiheit, Denkfreiheit, Kunst- und Schaffens­freiheit akzeptiert und den Kleinbauern und Handwerker freie Wirtschaft erlaubt . Es ist die einzige Philosophie, die unsere Umwelt retten kann. Wenn die DDR dieses System annimmt, kann Sie zu einem Vorbild und zu einer Weltmacht werden. Sehr geehrte Genossen, protegiert mich. Ihr habt den Dichter Nazim Hikmet nicht angehört, so hört wenigstens mich an.“

Was musste ich da sehen! Die Jury vom Strafsenat und der Staatsanwalt waren total unbeeindruckt von dem, was ich gerade gesagt hatte und lächelten nur so vor sich hin. Meine Rede war umsonst. Sie begannen zu flüstern und warteten darauf, dass jemand in den Saal gebracht wurde.

Es war der nette Offizier von der Grenze, der meinen Wagen kontrolliert hatte. Er wurde ohne Handschellen eingelassen. Der Mann war in einem bemitleidenswerten Zustand. Er wurde angeklagt, beim Schmuggeln Beihilfe geleistet zu haben. Mir war klar, dass wir nun konfrontiert werden würden.

Die Oberrichterin fragte mich:

„Herr Atila, kennen Sie diesen Offizier?“

„Ja, Euer Ehren, es ist der Offizier, der mein Auto kontrolliert hat.“

„Kennen Sie ihn persönlich?“

„Nein, Euer Ehren. Ich kenne nicht einmal seinen Namen.“

„Können Sie mir erklären, wie dieser Offizier Ihr Auto untersucht hat?“

„Sorgfältig, wie alle anderen auch.“

„Wie kommt es dann, dass er nicht gemerkt hat, dass jemand im Wagen versteckt war?“

„Wer auch immer das Auto kontrolliert hätte, niemand hätte es gemerkt. Ich habe das Versteck speziell anfertigen lassen. Diesen Herren trifft keine Schuld. Ich bin der Schuldige.“

Der verzweifelte Polizist atmete erleichtert aus und dankte mir mit seinen warmherzigen Blicken.

Das Gericht verschob die Sitzung, damit auch die Informationen von der Stasi mit einbezogen werden konnten.

Die mit Automatik-Gewehren bewaffneten Polizisten führten mich aus dem Saal, da fiel mir ein, was ich vergessen hatte zu sagen. Ich schrie so laut, dass es im Saal erschallte:

„Hoch lebe der Ökosozialismus!“

Ursula war sehr betrübt, doch die anderen lachten hinter mir her. Ich fühlte mich wie ein Wurm der sich äußern will. Sie hatten gute Laune, die heutige Gerichtssitzung war für sie eine Abwechslung gewesen.

Ich wurde in einen ratternden Wagen gesetzt, der mich zu meiner Zelle zurückbrachte.

Wochen später wurde ich wieder den Richtern vorgeführt, ich sagte dieselben Dinge aus.

 

Das Urteil

166 Bei der dritten Gerichtssitzung, wurde dann das Urteil gesprochen. Ich wurde beschuldigt, einer kriminellen Bande anzugehören, DDR-Soldaten vorsätzlich verwundet zu haben, die Regierung der DDR beleidigt zu haben, ein impe­rialistischer Agent zu sein, der den Kommunismus unter dem Schleier des Ökosozialismus vernichten will und noch viel mehr. Dafür sollte ich lebenslänglich hinter Gitter gehen. Dieselbe Ursula, die damals in meinen Armen geweint hatte, sagte mir nun dieses Urteil mit zitternder Stimme ins Gesicht. Auch der Polizist, der beschuldigt wurde, mir geholfen zu haben, musste für ein Jahr hinter Gitter. Diese Dummköpfe!

Zuerst konnte ich gar nicht glauben, dass Ursula dieses Urteil gesprochen hatte. Ich dachte, Sie mache nur einen schlechten Scherz. Als ich einige Zeit später, in meiner Zelle das schriftliche Urteil in den Händen hielt, musste ich die grausame Wahrheit akzeptieren.

1. Der Angeklagte Erol Atila wird wegen versuchtem illegalen Grenzübertritts und des Ausschleusens einer DDR-Bürgerin mit einem Kind im schweren Fall, - Verbrechen gem. §§ 213 Abs. 13 Ziffer 3 und 5, Abs. 4 StGB - im Namen des Volkes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe

verurteilt … &&&&&&&

 

Ich war am Boden zerstört.

Das konnte doch nicht wahr sein! Dass hieße ja, dass ich den Rest meines Lebens in dieser Hölle verbringen musste, das einem Grabe glich!

Wie bin ich hier nur gelandet? Warum bin ich nicht im letzten Moment einfach zurückgefahren, damals an der Friedrichsstraße?

Das bedeutete also, dass ich meine Mutter, meinen Bruder, meine Türkei nie wieder sehen würde.

Ich würde nie wieder in einen Boxring steigen können.

Angela könnte mich nicht einmal besuchen, ich würde mein Kind niemals sehen können.

Was hatte ich nur getan!

Alles hatte sich nun umgekehrt. Angela war frei, im Westen und ich hier im Osten und dann auch noch im Gefängnis!

Ich wusste ja noch nicht einmal, ob mein Kind lebte.

Also kann man sich ja vorstellen, was ich getan habe. Tagelang habe ich die Decke über meinen Kopf gezogen und versucht die Wahrheit zu verdrängen. Ich habe weder getrunken noch gegessen. Ich hasste mein Leben.


 

Abschnitt Seite 192-2001

Savas, mein Bruder in den Flammen

 

Je näher ich dem Brandherd kam, um so heißer und düsterer wurde es. Unterwegs hielt mich die Gendarmerie auf. Einer von ihnen sagte, dass es verboten wäre weiterzufahren. Doch als ich ihm erklärte, dass ich der Bruder des Forstver­waltungsamtsdirektors war, ließ er mich durch. Er fügte hinzu:

„Doch du musst dein Auto hier lassen, mein Freund.“

Neben mir fuhren Brandlösch­fahrzeuge mit ihren schrillen Sirenen aus anderen Städten vorbei. Ich bat den Gendarmeriesoldat darum, eines dieser Fahrzeuge anzuhalten, damit ich mitfahren könnte. Dieser hatte Verständnis dafür.

Wir traten in die Rauchwolken ein, tonnenweise Wasser auf unseren Rücken tragend. Ich fragte den Fahrer:

„Hat die PKK den Brand gelegt?“

„So steht es in der Zeitung“, sagte der Fahrer der Feuerwehr.

„Was können denn die arme Bäume dafür, dass die Kurden ein unabhängiges Kurdistan wollen?“

Ich hatte genau ins Schwarze getroffen. Einer der Mitfahrer starrte mich böse an und sagte in einem östlichen Akzent:

„Sie haben die PKK beschuldigt, vielleicht waren es aber auch nur Picknicker.“

Ich sagte:

„Egal wer auch immer es getan hat, muss ein Trottel gewesen sein. Das ist eine Schweinerei! Es ist so, als ob ein Mensch seine eigene Mutter verbrennen würde.“

Niemand antwortete. Diese Stille machte mich verrückt.

So kam ich mit dem Löschfahrzeug fast bis zum Brandherd. Wir waren nun in der Nähe, wo der Brand am stärksten war. Sie ließen mich aussteigen, wo ganz schön viele Menschen herum wuselnden. Soldaten, freiwillige einheimische Bauern, Arbeiter des Waldaufsehers, alle waren sie in einer hellen Aufregung. Die Forstarbeiter versuchten die Aus­breitung des Brandes zu verhindern, indem sie Bäume in eine Richtung fällten, damit Brand­schneisen entstehen. Die einheimischen Bauern schnitten Sträucher ab und die Soldaten harkten den Boden, um die Reste zu entfernen. Von Zeit zu Zeit wehte eine Rauchwolke zu uns herüber, wir husteten, kauerten uns öfter auf den Boden. Ich fragte einen herumkommandierenden Mann in Uniform, wo ich meinen Bruder finden könnte:

„Herr Savas ist in dem Gebiet, wo das Feuer noch lodert. Er leitet die Löschung persönlich an.“ erwiderte er.

„Können sie bitte ein Löschfahrzeug anhalten, das mich dorthin mitnehmen kann?“ fragte ich ihn atemlos.

Der Mann mit weißem Schnurbart brüllte:

„Das kann ich nicht tun, dort ist es sehr gefährlich. Wenn Ihnen etwas passiert, wird mir das Herr Savas nie verzeihen. Bitte gehen Sie zurück.“

„Ach mein Herr, lassen sie mich, ich möchte unbedingt zu meinem Bruder, ich kann auch beim Löschen des Brandes mithelfen.“ er brüllte wieder:

„Da können Sie nicht helfen, das ist die Aufgabe der Feuerwehr. Helfen Sie am besten den ein­heimischen Bauern da hinten, die an den Brand­schneisen arbeiten.“

„Dann gehe ich halt zu Fuß zu meinem Bruder“, sagte ich ganz genervt und begann in die Richtung los zu laufen, in die die Feuerwehrfahrzeuge fuhren. Der Mann lenkte ein:

„Na gut, warten Sie, fahren Sie mit einem Feuerwehrwagen mit.“

Und so begann meine Reise in die Hölle. Im Koran wird das Feuer in der Hölle beschrieben. Und dieses Höllenfeuer war nun hier, in dieser Welt. Die Menschen hatten aus dieser Welt, die ein Paradies war, eine Hölle gemacht. Überall brannten die Fackeln des Teufels. Alle Bäume, die starken und die schwachen, die Schönaussehenden und die Schiefgewachsenen wurden von den Furcht erregenden Flammen angefallen und brannten knisternd und krachend. Die brennenden Äste und Tannenzapfen flogen hin und her.

Dort, wo mich die Feuerwehr aussteigen ließ, war mein Bruder nicht aufzufinden. Ich fragte den Chef der Feuerwehrtruppe, wo er sein könnte:

„Er ist mit dem Waldkartographen tiefer in den Wald gegangen, um herauszufinden, wo das Feuer am besten eingedämmt werden kann, in der Gegenrichtung des Windes. Sie sollten eigentlich schon zurückgekehrt sein.“

„Dann gehe ich ihn selber suchen.“

„Das ist nicht nötig, ich kann ihn über mein Funkgerät erreichen.“

Doch mein Bruder antwortete nicht auf die Anrufe des Mannes. Dieser sagte:

„Wir können es später noch einmal versuchen.“

Die Hitze war auf ihrem Höhepunkt. Der Wind trocknete sofort die Schweißperlen auf unserem Gesicht. Für Sadisten wäre es wohl ein Genuss, diesen Brand zu sehen. Das hier war das Land der Brände. Um mich herum brannte alles, in mir brodelte es. Feuerwehrfahrzeuge, die ihren Dienst getan hatten, wurden von Neuen abgelöst. Manche Stellen, die gelöscht wurden, entflammten sich erneut. Jeder strengte sich heldenhaft an, um diesen Brand zu löschen. Doch warum hatten diese tapferen Menschen nicht vorsorglich die Wälder geschützt, bevor alles brennt? Der Gedanke, an diese Ignoranz bedrückte mich. Wieder loderte in mir meine Sorge um meinen Bruder auf.

Ich warnte den Mann mit dem Funkgerät, der dauernd damit beschäftigt war, sich mit Bürger­meistern anderer Städte zu unterhalten:

„Quatschen Sie nicht immer mit den feinen Herren, die das Feuer von zuhause aus verfolgen, rufen Sie meinen Bruder an, Mann!“

Mein Tonfall war so schroff, dass selbst ich erschrak.

Als der Mann wieder meinen Bruder anrief, hörte ich plötzlich seine Stimme, die ich aus meiner Kindheit kannte:

„Wir stecken hier fest. Wir wurden von unerwarteten Flammen umzingelt. Wir brauchen dringend Hilfe, unsere Koordinaten sind...“

„Ja, ich höre. Over.“

Die Funkverbindung wurde unterbrochen, doch nach einem weiteren Anruf, konnte der Mann die Koordinaten verstehen.

„Chef, sorgen Sie sich nicht, wir holen sie da raus. Ich habe sogar eine gute Nachricht für Sie. Ihr Bruder ist gerade bei mir. Over.“

„Ach ja!, Lasst ihn unter keinen Umständen zu nahe ans Feuer heran.“

Als die Rettungstruppe zu den besagten Koordinaten kam, schnitt uns das Feuer wieder den Weg ab. Der Anführer sagte dauernd: „Mein Gott, wie kann das Feuer nur bis hierher gelangt sein? Das ist doch unmöglich.“

Er rief ins Megaphon:

„Herr Savas, wo sind Sie, antworten Sie.“ Jeder schwieg und wartete. Doch außer dem Knistern und Krachen des Feuers war nichts zu hören. Plötzlich ertönte von rechts das Brummen eines Jeeps und ein lauter Knall. Ich hopste hin und her. Hinter einer Wand aus Flammen, müsste mein Bruder sein. Aus den Tiefen rief mir die Stimme, die ich aus meiner Kindheit kannte, zu: „Erol! Erol rette mich!“ Jeder hatte diese Stimme gehört. Alle blickten sich erstaunt an. Doch die Feuerwehrmänner zögerten, sich in die Flammen zu stürzen. Ich ging zu einem von ihnen, der einen feuerfesten Anzug trug, und schrie:

„Mann, schnell, zieh dich aus, gib mir deinen Anzug.“

Vor Aufregung stellte ich mich beim Anziehen das Anzuges dumm an. Als ich mich mit einem Feuerlöscher, trotz der Warnungen in die Flammen stürzte merkte ich, dass ich nicht der einzige war. Von hinten spritzten sie Wasser über uns. Die Wucht des Wassers drückte uns auf den Boden. Doch wir standen wieder auf und stürzten uns weiter in die Flammen.

Ich rief wie ein Verrückter:

„Savas!!! Mein Bruder, wo bist du, sag was!“

Ich hörte seine flehende Stimme wieder:

„Erol, ich bin hier, rette mich, schnell!“

„Savas!!!“

Eine andere Stimme antwortete:

„Wir sind hier, schnell, kommt her!“

In der riesigen Hölle hörte ich diese Stimme minutenlang. Die Flammen stiegen bis zum Himmel empor und malten ihn rot an. Wir waren bereits außerhalb der Reichweiter der Feuer­wehrautos. Das hier war das Zentrum der Hölle. Die Umrisse des Jeeps waren in der Ferne sichtbar geworden. Was wir dort sahen, war schrecklich. Der Kartograph, dessen Haut ganz schwarz geworden war, lag, mit einem leeren Feuerlöscher in der Hand da. Ich überließ ihn dem anderen Feuerwehrmann und rannte weiter, denn weiter hinten brannte ein anderer Mensch. Das war mein Bruder Savas. Ich versuchte den Feuer­löschlöscher auf meinem Rücken einzuschalten, doch er funktionierte nicht. Hinter mir rief eine Stimme mit östlichem Akzent:

„Da, dreh zuerst das rote Ventil auf, Bruder!“

Als die Flammen erloschen, sah ich vor mir einen verbrannten Menschen, von dem ich nur die Stimmer erkannte. Er lebte immer noch. Stöhnend sagte er:

„Erol!“

„Ja. Ja mein Bruderherz!“

Ich hievte ihn auf meinen Rücken und rannte in die Richtung, aus der die Rufe der Feuer­wehr­männer kamen. Hinter mir trug der andere Feuer­wehrmann den Kartographen auf dem Rücken. Manche Stellen waren völlig ausgebrannt und zu Asche geworden. Solche Stellen suchten wir uns auf dem Rückweg. Doch plötzlich sagte mein Bruder mit einer erstickenden Stimme:

„Erol, warte, halte an. Ich möchte mich von dir verabschieden. Mein Vater ruft mich zu sich.“

Mein Bruder starb. Es war sinnlos, weiterzu­laufen. Ich musste ihm zuhören.

„Erol, pass auf Mutter auf, begrabt mich neben Vater. Ich wollte... dich... an Orte bringen... wunderschöne Orte... Aber... es sollte wohl nicht sein... Es ist… wohl mein Schicksal… Ich gehe... ... Schade... Meine Kinder... pass auf sie... auf... wieder...sehen...“

Und mein Bruder verstarb in meinen Armen.

Der Brand in mir war Furchterregender geworden, als der Brand um mich herum.

Eine riesige Flamme loderte in mir, mit meinem Bruder in den Armen schrie ich in den Himmel:

„Gott, höre mich an! Erst meinen Vater, dann meinen Bruder nimmt man mir! Warum schützt du selbst nicht die Natur, die du erschaffen hast? Warum gibst du uns diese Aufgabe? Antworte mir! Antworte mir!“

Doch Gott antwortete nicht. Alles war umsonst. Ich war am Boden zerstört. Dann sah ich viele Flammen vor mir. Sie könnten meine Schmerzen lindern. Ich schrie erneut:

„Dann nimm mich Gott, eben in deine Hölle! Verbrenne mich auch!“

Ich rannte mit meinem Bruder in den Armen in die Richtung der Flammen, um mich hinein­zustürzen. Doch ich stolperte über einen Stein und fiel zu Boden.

Die Leiche meines Bruders fiel aus meinen Armen und rollte weiter. Es war doch kein Stein, über den ich gestolpert war. Es war eine riesige, verbrannte Schildkröte. Ich hob sie hoch. Ihre Beine waren verbrannt, doch sie lebte noch. In dem Moment fühlte ich in mir einen riesigen Hass gegenüber den Feinden der Umwelt. Ich streckte die Schildkröte in die Himmel und rief:

„Gott, ist das deine Antwort?“

Hinter mir hörte ich Stimmen, ich war von Hilfstruppen umgeben. Die Angestellten meines Bruders hatten ihren Chef gefunden, doch als verbrannte Leiche. Weinend nahmen sie ihn mit. Ich lief ihnen hinterher, mit der Schildkröte im Arm.

Ich möchte hier nicht lange über die Schmerzen meiner Mutter und über die nächsten, schrecklichen Tage berichten.

Ein Leichenwagen brachte die sterblichen Überreste meines Bruders nach Sivas.

Die Schildkröte, von der ich glaubte, sie gerettet zu haben, starb. Doch ihre Botschaft hatte mich wieder mit dem Leben verbunden, hatte mir ein Ziel gegeben. Ich musste für den Umweltschutz weiter kämpfen.

Während der langen Fahrt nach Sivas hielt ich immer wieder an Stellen an, wo Bäume waren. Der Brand spielte sich immer wieder vor meinen Augen ab. Ich strich über die grünen Blätter dieser Bäume, die stramm dastanden und freute mich, dass sie lebten. Dann umarmte ich meine Mutter und küsste ihre Hände. Jetzt waren wir nur noch zu zweit.

Von den Lautsprechern der Moscheen in Sivas, wurde bei voller Lautstärke das Todesgebet für meinen Bruder gesprochen, sein Tod bekannt gegeben.

Neben dem Grab meines Vaters auf dem Friedhof Abdül Vahab-ül Gazi war kein freier Platz mehr. Aber ich musste den letzten Willen meines Bruders ausführen.

Ich ließ das Grab meines Vaters so tief ausgraben, bis seine Knochen sichtbar wurden. Ich legte meinen Bruder selbst in seine Arme. Als wir Kinder waren und unsere Füße froren, hatte uns unser Vater oft in die Arme genommen und sie gewärmt. Und jetzt geschah genau dasselbe. Die Decke aus Erde öffnete sich, und mein Vater nahm seinen Sohn in die Arme.

Ich deckte sie beide zu und ließ sie in Frieden ruhen.

„Eure Seelen ruhet in Frieden, Kämpfer der Umwelt, Vater Erdem und Bruder Savas.“

Nach diesem Tag war mein Hass gegen die umweltfeindlichen Menschen so brennend, wie die Flammen bei jenem Brand. Als ich den Friedhof verließ, schrieb ich in Gedanken folgendes auf ihren Grabstein:

Sobald es mehr Gräber von Umweltfreunden als von anderen gibt, wird auf unserer Erde der Frieden kommen.