Der große Umweltroman aller Zeiten

Das Erbe des Lehrers

 

 

 

 

In seinem Werk findet man

groteske Naturbeschreibungen,

aber auch Berichte

über natürliche

und gemütliche Lebensformen

der alten Türkei und in der DDR,

die heute nicht mehr existieren.

In diesem Roman Erol, der Held dieses Buches, hatte während seiner Kindheit vor der Gewalt der Kinder seines Stadtviertels bei den türkischen Kabadayis ,das waren Ritter, Schutz gesucht. Sein unbändiger Hass auf diese Kinder hatte ihn zu einem unbesiegbaren Boxer werden lassen. Als sein Vater von Feinden der Natur brutal getötet wurde, entschloss er sich sein Leben lang als Freund der Natur gegen sie zu kämpfen

 

 

 

Abschnit Seite 91

 

Die Vögel zwitscherten, die Schmetterlinge flatterten und landeten auf den Wiesenblüten. Das murmelnde Geräusch des Baches schuf eine untermalende Musik.

Jählings verschwand die gute Laune meines Vaters. Als unter dem benachbarten, mächtigen Kiefernbaum zwei Kerle ihr Tischtuch ausbreiteten, ihren Proviant und Rakiflaschen auspackten, verdunkelte sich sein Gesicht. Zuerst stellten die zwei mit Hilfe von Steinen eine Grillstelle her, legten den Rost darauf und begaben sich dann auf Holzsuche. Dann zerbrachen sie die Äste in kleine Teile und legten diese unter den Grill.

Der Stamm des Baumes, unter welchem die beiden saßen, war bereits von früheren Picknickern mit Äxten angegriffen worden, um harzhaltiges Kienholz zu erhalten. Jedesmal, wenn wir kamen, beschmierten wir solche Wunden mit Erde. Einer der Männer begann, mit einem Beil die Erdschicht an einer wunden Stelle abzukratzen, um erneut in die Wunde zu hacken. Der majestätische Baum war gegenüber diesem Übeltäter machtlos. Es kam uns vor, als würden diese Schläge direkt unsere Herzen treffen. Wir waren ganz blass. Meine Mutti ahnte Böses und meinte nervös:

„Was geht das euch an!“

Ihre Worte konnten uns jedoch nicht beschwichtigen. Zuerst fragte mein Vater sie:

„Haben wir noch Zunder für diese Kerle?“

Als meine Mutter nickte, begab sich mein Vater zu den Männern, ich ging hinter ihm her. Mein Vater sprach mit betont weicher Stimme, welche seinen Zorn verbergen sollte:

„Grüß Gott, ich bin Lehrer. Ist es nicht eine Sünde den Baum zu verletzen? Lasst mich euer Feuer mit Papier und Petroleum anzünden.“

Der Gesichtsausdruck des einen Burschen verwandelte sich in die eines Hundes, dem ein Knochen weggenommen worden war. Er höhnte mit grobschlächtigem Akzent:

„Was geht mich das an, ob du Lehrer bist, das interessiert micht nicht, du Spinner. Ist hier die Schule? Ist das dein Baum?“

Die Antwort meines Vaters kam wie aus der Pistole geschossen:

„Das sind alles unsere Bäume. Unser Pascha hat diese Bäume nicht pflanzen lassen, damit du sie tötest.“

Der Mann versetzte dem Baum mehrere tiefe Schläge und beschimpfte meinen Vater mit den gemeinsten Ausdrücken, die ich jemals gehört habe.

Die Adern im Gesicht meines Vaters schwollen an. Er schrie:

„Ich sage dir, haue dein Beil nicht noch einmal in den Baum!“

Auch das Gesicht des Mannes war nun rot geworden, wie gekochter Krebs, er hörte auf zu schimpfen und begann, mit seinem Beil vor dem Gesicht meines Vaters herumzufuchteln. Mein Vater sprang zurück, um den Hieben auszuweichen. Meine Mutter stieß einen schrillen Schrei aus und griff sich einen der Stecken, den die Männer noch nicht zerbrochen hatten. Die Lage war äußerst kritisch. Dieser Schurke könnte wie ein Primitiver meinen Vater töten. Ich musste etwas tun. Also los der Rebell Erol! Ich sprang wie von einer gespannten Feder getrieben auf den Rücken des Mannes, umklammerte wie ein Tintenfisch mit all meinen Kräften von hinten seinen Hals und konnte dadurch das Gleichgewicht des Kerls empfindlich stören. Er fing an zu röcheln und hieb das Beil in meinen Arm. Blut floss aus der Wunde. Es war mir gleichgültig. Ich umklammerte seinen Hals noch stärker. Mein Vater nutzte diese Situation und stieß ihm mehrmals hart in den Bauch, bis der Mann zusammenbrach. Dessen Hals-schlagadern waren angeschwollen, er röchelte. Der Freund des Schurken wollte ihm zu Hilfe eilen und griff nun seinerseits meinen Vater an, aber der Stock in der Hand meiner Mutter zerbrach krachend auf dem Kopf des Angreifers. Meine Mutter war wie eine Löwin. Normalerweise war sie eine sehr schöne Frau, doch jetzt wurde ihr Gesicht männlich und hässlich. Sie ließ ihre Hand sinken, der Feind war ausgeschaltet. Mein Bruder verband mir die blutende Wunde mit seinem Hemd. Schade um das neue Hemd! Die Menschen in unmittelbarer Umgebung drängten sich zwischen uns und versuchten, uns auseinander zu bringen. Die inzwischen wieder zu sich gekommenen Kerle versuchten uns aufs Neue anzugreifen. Doch die Kontrolle des Kampfes wurde von der Menge übernommen. Das Trennen der Gegner gehörte zur Tradition der türkischen Moral, die jedoch leider immer weiter abgenommen hat. Wie schon immer im Westen oder heute fast überall, genoss man es, den Streitenden zuzuschauen; damals war bei uns so etwas unmöglich. Trotz der Gefahr des Einmischens stellte sich ein Türke immer zwischen die Parteien, um eine Schlichtung zu ermöglichen. Es war durchaus möglich bei so einem Ereignis geschlagen zu werden. Aber wenn einer der Schlichter ein ‘Kabadayi’ war, das ist der Ausdruck für einen tapferen Mann, und wenn man sich beim Schlichten gegen ihn stellt, konnte man eine ganz besondere Überraschung erleben.

Während die naturfeindlichen Schurken von der Menge weggeschleppt wurden, beschimpften sie meinen Vater, stießen wilde Flüche aus und drohten ihm an, die Rache fortzuführen wenn man sich eines Tages alleine wiedersehen würde. Aber wir hatten den Stamm des armen Baumes gerettet. Mein Vater beschmierte dessen Wunde nochmals mit Schlamm. Aber wie lange würde es so weitergehen? Es war sehr schwierig, in den alten Köpfen der Ignoranten ein Umdenken zu erreichen und die Bäume zu schützen. Die einzige Hoffnung war, dass eines Tages schon ab der Grundschule im ganz normalen Unterricht Naturschutz gelehrt werden würde. Mein Vater versuchte schon jetzt bei jeder Gelegenheit seinen Schülern die Liebe zur und die Achtung vor der Natur beizubringen. In den kommen Jahren könnte man so die Früchte ernten. Das wusste er, als eines der Atatürk-Kinder.